Freitag, 20. Februar 2009

Ein Tag in einem indischen Kinderheim

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Ein Tag im NITYA SEVA - Kinderheim in Bhopal/Pipalner
(siehe auch hier im Blog)

Bhopal in Madhya Pradesh / Indien: Eine 1,5 Millionenstadt mit wunderschönen Seen und einem freundlichen Ambiente. Aber auch eine Stadt, in der unzählige Menschen, insbesondere auch Kinder, kein Dach über dem Kopf haben, keine ordentliche Ernährung und kein Zuhause. Wir haben uns der Kindern angenommen, die ohne Zuneigung und der notwendigsten Versorgung auf der Straße leben mussten. Krank, missachtet und missbraucht, alleine gelassen, ums tägliche Überleben kämpfen müssend. In 2 Kinderheimen geben wir aktuell 187 Jungen und Mädchen ein liebevolles Zuhause. Nachfolgend einen Bericht über den Tagesablauf in unserem neuen Kinderheim in Pipalner.

Pipalner liegt am westlichen Rand von Bhopal, unweit vom Flughafen. Der Stadtteil ist ländlich strukturiert. Er liegt in unmittelbarer Nähe zu Gandhi Nagar, einem größeren Markt.

Es ist Morgengrauen. Das große Kinderheim, das an eine Burg erinnert, erhellt sich mit der beginnenden Dämmerung. Es ist gerade einmal 05.00 Uhr, wenn die Glocke unsere derzeit dort lebenden 144 Jungen und Mädchen weckt.
In den Zimmern wird es lebhaft. Die Kinder stürmen in die Badezimmer. Lärm durchdringt das Haus, alles ist in Bewegung.
In der Küche bereiten die vier Köche und Helfershelfer seit 05.00 Uhr das Frühstück und das Essen für die Schulbox vor.
Auch das Frühstück und der Inhalt der Schulbox sind warme Speisen. Chabati, ein Fladenbrot, Sabji, ein Kartoffelauflauf, Bindis / Ladyfingers, eine Gemüsesorte u.a.m. werden geboten.
Das für die Kinder zuständige Personal kümmert sich darum, dass sich alle ordentlich duschen und anziehen. Saubere Schulkleidung, geputzte Schuhe, ordentlich gekämmte Haare.
Die Kinder gehen in den großen Speisesaal, und bekommen ihre warme Mahlzeit. Und die Schulverpflegung.
Es ist Gedränge. Jeder sucht sich seinen Platz an den langen Steintischen. Die ganz Kleinen sitzen auf ihren Kinderstühlen.
Alle haben ihre Schuluniformen an.
Draußen warten schon die Fahrer der drei NITYA SEVA - eigenen Transportfahrzeuge.
Viele unterschiedliche Schulen sind anzufahren. Zu den verschiedensten Zeiten. Und teilweise in einer Entfernung von über 20 km.
Alles ist in Bewegung. Die Fahrer hupen ungeduldig, bis auch die letzten Nachzügler ihren Platz eingenommen haben.
Die Fahrzeuge fahren ab. Es wird ruhig im Heim.

Die Reinigungskräfte gehen ans Werk und putzen das ganze Haus, was zweimal am Tag geschieht.
In der Küche geht es nun schon mit der Vorbereitung des Mittagessens los.
Eine Mutter, die auf der Straße lebt und die nicht mehr in der Lage ist, ihre Kinder zu versorgen, bittet um deren Aufnahme in das Kinderheim.
Ein kleines Mädchen wird aus über 700 km Entfernung von einem Sozialarbeiter an NITYA SEVA übergeben.
Ständig kommen Leute an und fragen nach einem Platz für Kinder. Oder Kinder machen sich selbst auf den Weg, um nach Schutz und Unterkunft anzufragen.
Manche Kinder sind in einem erschreckenden Zustand. Halb verhungert, abgemagert, apathisch, ängstlich, schmutzig und mit Geschwüren übersät. Sie freuen sich über die gereichte Banane und über eine liebevolle Streicheleinheit. Zucken zurück, wenn man ihren Kopf berührt. Sie haben die vielen Schläge und Quälereien nicht vergessen.

Unser Projektmanagerehepaar ruft die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammen, um den Tagesplan zu besprechen.
In der Küche werden Nahrungsmittel von den örtlichen Händlern angeliefert. Frisches Gemüse, Reis, Mehl, Öl, Obst und Milch.
Die Wassertanklastwagen fahren an, um die auf dem Dach des Gebäudes befindlichen Tanks zu füllen. Die Zulieferung ist notwendig, da die drei NITYA SEVA - eigenen Tiefbrunnen oft nicht genügend Wasser liefern. In Bhopal herrscht häufig Wasserknappheit, Wasser ist ein sehr wertvolles Gut.

Gegen 13.00 Uhr kommen die ersten Kinder aus der Schule zurück. Sie wechseln ihre Kleidung und begeben sich in den großen Speisesaal. Sie bringen ihre Teller mit.
Die Küchenverantwortlichen und einige ältere Kinder geben das Essen aus.
Meistens gibt es Reis, Linsen, Kichererbsen, ein weiteres Gemüsegericht aus Kartoffeln oder Bohnen und Chapati, ein Flatenbrot. Dazu ein Glas Milch und Obst.
Die Kinder haben einen ordentlichen Appetit, und deuten in einer eigens entwickelten Zeichensprache durch das Zeigen von Fingern an, was sie gerne nachgereicht bekommen möchten. Ein in die Luft gestreckter Finger bedeutet, mehr Reis haben zu wollen, zwei Finger bitten um Nachschub an Linsen etc. Die Finger sind immer oben. Es scheint, als wenn die Kleinen auf Vorrat essen wollen, da sie sich immer noch an die Zeiten des ständigen Hungerns erinnern.
Nach dem Mittagessen ist ausruhen angesagt, und spielen.
Nach und nach kommen die anderen Kinder aus der Schule und nehmen ihr Mittagessen ein.

Ab 16.00 Uhr stehen Hausaufgaben und Nachhilfe auf dem Programm. Hierfür stehen drei Tutoren zur Seite.
Gegen 18.00 Uhr nimmt das Lernen ein Ende, und die Kinder strömen ins Freie oder in den Computerraum, in dem sie an acht Computern spielen können.
Draußen ist bei den Jungen Kricket sowie Fußball und bei den Mädchen Badminton angesagt.
Manche Kinder spielen auf der Terrasse, andere in den Zimmern.

Gegen 20.30 Uhr versammeln sich alle Kinder auf der großen Terrasse zum Gebet. Da unsere Schützlinge Muslims und Hindus sind, wurden religionsübergreifende Gebete entwickelt.
Die Kinder achten die unterschiedlichen Religionen. Sie werden welt-, kulturen- und glaubensoffen erzogen.
Nach dem Gebet gehen die Kinder zum Abendessen, danach in den Aktivitätenraum, schauen Fernsehen oder tanzen und spielen.

Um spätestens 23.00 Uhr ist Bettzeit.
Die Kinder eilen in die sieben Schlafsäle und begeben sich zur Nachtruhe.
Es wird still im Kinderheim.
Die Außenleuchten beleuchten das große Gelände.
Der Mond spendet sein sanftes Licht.
Ein langer Tag geht zu Ende.
Die Kinder schlafen, beschützt und umsorgt.

Sie haben ihr Zuhause gefunden. Und ihr Lächeln.

Ein Bericht von Claus D. von der Fink, Hilfsinitiative NITYA SEVA Kinder-, Lepra- und Adivasihilfe Indien e.V.

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