Montag, 2. Februar 2009

Roman, Märchen, Autobiografie ... alles in Einem

Abbas Khider
Der falsche Inder - Roman
Edition Nautilus, geb.m.Schutzumschlag, 160 S., ISBN 978-3-89401-576-3, € (D) 16,-, sFr 29,-, € (A) 16,50
Ein geheimnisvolles arabisches Manuskript im ICE Berlin–München, das niemandem zu gehören scheint und worin acht Mal auf verschiedene Weise die Lebensgeschichte desjenigen erzählt wird, der es zufällig findet und liest.
Dieses Romandebüt handelt von der Flucht eines jungen Irakers, der unter Saddam Hussein im Gefängnis saß und vor Krieg und Unterdrückung flieht, sich in mehreren Ländern als Hauslehrer, Gelegenheitsarbeiter, Kellner durchschlägt; der vom Unglück verfolgt scheint und doch immer wieder auf wundersame Weise gerettet wird. Auf seiner Reise durch Nordafrika und Europa trifft er viele andere Flüchtlinge aus aller Welt, die wie er auf der Suche nach einem Leben ohne Hunger und Krieg sind und dafür sehr viel opfern. Ihre Stimmen und Schicksale verbinden sich in Khiders Roman zu einem modernen realistischen Märchen. Abbas Khider verbindet das Tragische mit dem Komischen, das Groteske mit dem Alltäglichen, die Exotik des Orients mit den Lebenserfahrungen eines Flüchtlings. Er beeindruckt durch seinen ungeschönten Blick und die Beiläufigkeit, mit der er vom Elend wie von Wundern erzählt.
Leseprobe: Mit neunzehn Jahren wurde ich ins Gefängnis gesteckt. Dort gab es unzählige Wände, die ich vollschreiben konnte. Eigentlich gab es nur Wände. Fenster war ein Fremdwort. Wie Sonne und Frauen. Man konnte nur erahnen, dass es irgendwo da draußen Sonne geben musste. Auf dieser dunklen Seite der Erde habe ich den ersten Vers gelesen. Er stand in meiner ers_ten Zelle an der Wand: »Das Gefängnis ist für mich eine Ehre, die Fessel ein Fußband und der Galgen die Schaukel der Helden.« Sein Verfasser musste jede Hoffnung schon verloren haben. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Damals hatte ich keineswegs die Absicht, als Held am Galgen zu enden. Nach einem Jahr schrieb ich denselben Vers in einer anderen Zelle und dachte nichts dabei. An den Wänden stand einfach alles geschrieben. Man konnte viel Zeit damit verbringen, die Weltanschauung einzelner Gefangener zu erkunden, ebenso ihre ethnische oder religiöse Zugehörigkeit. »Arbeiter der Welt, vereinigt euch!« - Das war ein Kommunist. »Kurdistan soll frei sein!« - Ein Kurde. »Gott schütze die Gläubigen!« - Ein Religiöser. »Komm, Heiliger Al-Mahdi, rette die Erde!« - Ein Schiit. »Ich will zu meiner Mama.« - Einer wie ich, der keine Ahnung hatte, warum er da war.
Abbas Khider wurde 1973 in Bagdad geboren und lebt seit 2000 in Deutschland. 1996 floh er nach einer Verurteilung aufgrund „politischer Gründe“ und nach einer zweijährigen Gefängnisstrafe aus dem Irak. Von 1996 bis 2000 lebte er als sogenannter illegaler Flüchtling in vielen verschiedenen Ländern. Studium der Philosophie und Literaturwissenschaft. Er veröffentlichte bisher Lyrik in verschiedenen Publikationen. Gedichte in deutscher Übersetzung erschienen in der Anthologie Rückkehr aus dem Krieg. Neue irakische Lyrik. (Hg.) Khalid Al-Maaly und Heribert Becker (2007)
Rezension Deutschlandfunk (Auszug): Der falsche Inder meinte einmal zu wissen, dass er kein Inder, sondern ein Iraker ist. Seit er aber als Flüchtling in Deutschland lebt, weiß er nicht mehr, ob er "Zigeuner, Iraker, Inder oder gar ein Außerirdischer" ist. "Ich weiß nur, ich bin 'von vielen Sonnen der Erde gebrannt und gesalzen', wie meine bayerische Geliebte Sara immer behauptet, und ich glaube ihr." ... "Der falsche Inder" ist Roman, Märchen, Erzählung aus 1001 Nacht, Kurzgeschichte und Autobiografie in einem. Eine Rahmenhandlung hält alles zusammen ... Zur Rezension

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