Donnerstag, 24. März 2011

Kennst Du ...?

Friedrich Albrecht: Kennst du Anna Seghers?
138 S., ISBN: 978-3-937601-58-8, 12,80 €
„Und habt ihr denn etwa keine Träume?“, fragte Anna Seghers in dem Motto zu ihrer Erzählung „Die schönsten Sagen vom Räuber Woynok“. Ihre eigenen Träume führten sie von der Heimatstadt Mainz aus weit in die Ferne, aber auch mitten in die dramatischen Kämpfe des Jahrhunderts. Auf der Flucht vor der Verfolgung durch die Nazidiktatur gelangte sie über Paris, Marseille und die karibischen Inseln schließlich bis nach Mexiko.


"Aus: »Schönsten Sagen vom Räuber Woynok«

… Gruschek ging einen halben Tag lang der Spur nach, bis er Woynok erblickte, am zweitobersten der Prutkafälle, in der Sonne auf einem Stein. Woynok griff nach seiner Flinte; dann erkannte er Gruschek an allen Zeichen, an denen ein Räuber den andern erkennt. Er kletterte von seinem Stein herunter und begrüßte Gruschek als den Älteren. Sie setzten sich auf die Erde, Gesicht gegen Gesicht, und verzehrten zusammen ihr Brot.

Gruschek betrachtete Woynok gründlich. Woynok sah noch viel jünger aus, als man ihm berichtet hatte; seine Augen waren so klar, als hätte niemals der Schaum eines einzigen unerfüllt gebliebenen Wunsches ihre bläuliche Durchsichtigkeit getrübt. Gruschek konnte in diesen Augen nichts anderes finden als sein eigenes haariges altes Gesicht und was ihm über die Schultern sah an Berggipfeln und Wolken.

Gruschek sagte: »Ich habe vierzig Räuber. Das ist gerade die rechte Zahl. Warum raubst du immer allein?«

Woynok erwiderte: »Ich will immer allein rauben … " (Leseprobe, pdf)

Aus der "Kennst Du ..."-Reihe des Bertuch Verlages Weimar

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