Die Entdeckung Sibiriens - Russland erobert die Welt der Schamanen
Heft 11/2008 "Damals", 6,10 EUR
Schon Kaufleute der Hanse trieben wohl Handel mit Sibirien, vor allem hatten sie es auf dessen Pelzreichtum und speziell die Zobelfelle abgesehen. Erobernd drangen Europäer aber erst seit dem Ende des 16. Jahrhunderts nach Osten vor: Kosaken, Kaufleute und Abenteurer begannen Sibirien zu erschließen. Ihnen folgten Forschungsreisende, darunter zahlreiche Deutsche. Im Auftrag der Zaren erkundeten und kartographierten sie das weithin unbekannte Land. Und zeichneten die Bräuche und Lebensgewohnheiten der indigenen Bevölkerungsgruppen auf. Dabei lernten sie das Phänomen des Schamanismus kennen, der den Menschen Orientierung im Umgang mit der Natur gab. Missionierungsbemühungen im Zarenreich und der Unterdrückung indigener Glaubenswelten in der Sowjetunion zum Trotz kehrten der alte Glaube und viele Traditionen zur Zeit der Perestroika zurück. Heute gibt es in Sibirien wieder Schamanen.
Der Osten ist weit - Die Eroberung und Erforschung Sibiriens: Der Kosaken-Ataman Jermak drang 1582 über den Ural nach Westsibirien vor. Sibirien gilt heute als integraler Bestandteil Russlands. Das war keineswegs immer so: Die Eroberung Sibiriens und seine wissenschaftliche Durchdringung erfolgten erst seit 200, 300 Jahren – im Zuge eines Kolonialismus, der das Reich des Zaren bis an die Küste des Pazifik ausweitete. Das Interesse an der wissenschaftlichen Erforschung Sibiriens begann in Russland erst an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert. Bis dahin hatte kaum ein Westeuropäer die Gebiete jenseits des Urals je betreten, auch wenn seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Teile Sibiriens auf den Karten Gerhard Mercators und Abraham Ortelius’ verzeichnet waren und auch Reisebeschreibungen vorlagen, die aber meist nur auf Hörensagen beruhten. Nowgoroder Kaufleuten war Sibirien spätestens seit der Mitte des 11. Jahrhunderts bekannt, denn von dort erhielten sie die schönen Zobelfelle, die sich so gut verkaufen ließen. Es dauerte aber bis 1582, bis das Moskauer Reich stark genug war, an eine Eroberung dieser Gebiete zu denken. Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts begann das mächtige Mongolenreich zerfallen. Die Moskauer Großfürsten eroberten immer neue Teilreiche. Als Iwan IV., der den Beinamen „der Schreckliche“ erhalten hat und als erster Großfürst zum Zaren gekrönt wurde, Mitte des 16. Jahrhunderts nach Kasan und Astrachan vorstieß, war die Wolga zum russischen Strom geworden ...
Von Sibirien nach Göttingen - Georg Thomas von Asch in St. Petersburg: Die Göttinger Universität verdankt ihre herausragende Position innerhalb der deutschen Russlandforschung Ende des 18. Jahrhunderts insbesondere Georg Thomas von Asch: Neben Buch- und Münzsammlungen bereicherte der St. Petersburger Mediziner sie auch mit wertvollen Kulturdokumenten der Völker Sibiriens und Alaskas. "Übrigens ist es anerkennens werth, dass dieser Mann nur für die Academie in Göttingen lebt und dass seine nächsten Verwandten sich über seine Sparsamkeit bey seinem sonst großen Vermögen beschweren“, urteilte der mecklenburgische Kammerherr Gustav Friedrich von Oertzen in einem Brief an Christian Gottlob Heine, den Direktor der Göttinger Universitätsbibliothek und des Academischen Museums, nachdem er 1801 den 72-jährigen russischen Staatsrat Baron Georg Thomas von Asch besucht hatte. Wer war jener edle Stifter, der die Göttinger Universität mit einzigartigen Kulturdokumenten der Völker des Russischen Reiches im 18. Jahrhundert beschenkte? ...
Russland in Sibirien - Chronologie: Ein Überblick über die Geschichte Sibiriens: vom 16. Jahrhundert bis heute ...
Auf der „Hoffnung“ um die Welt - Die Forschungsreisen des Freiherrn von Langsdorff: Mit dem Entschluss, an einer russischen Forschungsreise teilzunehmen, gab Georg Heinrich von Langsdorff seiner Karriere die entscheidende Wendung. Immer wieder lenkte er in der Folge die Aufmerksamkeit auf die Probleme der indigenen Bevölkerung in einer der „entferntesten Ecken der Welt“. Im 18. Jahrhundert hatte der russische Staat zahlreiche Forschungsreisen und Expeditionen in den asiatischen Teilen des Reiches oder den Grenzgebieten zwischen Europa und Asien durchgeführt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts konnte man daher auf ausgezeichnete Erfolge in der Erforschung von Natur, Geographie und der Kultur der indigenen Bevölkerung zurückblicken. Zudem waren viele Seereisen vor allem im Pazifik unternommen worden. Politisch galt es, trotz der napoleonischen Kriege und innenpolitischer Turbulenzen, nicht nur den Status unter den europäischen Mächten zu halten, sondern, den Beispielen der erfolgreichen Weltumsegelungen der Engländer und Franzosen folgend, als emporstrebende Seemacht gleichzuziehen und dabei zugleich neue Forschungsergebnisse vorzulegen. Mit derartigen Weltumsegelungen setzten die russische Regierung, die Admiralität und die St. Petersburger Akademie der Wissenschaften die Praxis des 18. Jahrhunderts fort. Zu den damaligen Expeditionen und Forschungsreisen waren ausländische Gelehrte aus ganz Europa angeworben worden. Die erste Weltumsegelung unter russischer Flagge fand zwischen 1803 und 1806 unter der Leitung des Deutschbalten Adam Johann von Krusenstern statt. An dieser Expedition nahm ein weiterer deutscher Gelehrter teil, der Arzt und Naturforscher Georg Heinrich Freiherr von Langsdorff (1774–1852), den die Russen Grigori Iwanowitsch Langsdorf nennen ...
Die Natur als belebt betrachten - Weltbild der Schamanen Sibiriens: Ein Schamane trägt eine hohe Verantwortung. Als Verkörperung seiner Gruppe reist er in andere Welten und setzt sich dort für deren Schicksal ein. Unterstützt von Hilfsgeistern, versucht er die Signale der Natur zu deuten, um die richtigen Entscheidungen für den Einzelnen wie für die Gruppe zu treffen. Dahinter steht eine besondere Vorstellung vom Leben des Menschen in der Natur. Kulturen haben wohl schon immer Antworten auf jene Fragen gesucht, die letztlich unser Sein bestimmen. Diesen Fragen ist kaum auszuweichen, auch wenn heutzutage viele Menschen meinen, mit Hilfe des naturwissenschaftlichen und technischen Fortschritts die Natur erklären zu können. Verleiht in traditionalen Gesellschaften das „Wissen um die letzten Dinge“ denen, die darüber verfügen, Ansehen und Autorität, so dominiert in modernen Gesellschaften der Glaube an die Beherrschbarkeit der Natur durch technologisches Know-how. So wurde in der Sowjetzeit propagiert, dass die Natur durch den Einsatz von Technik selbst unter den extremen Bedingungen Sibiriens zu bezwingen sei. Die Welt‧bilder der dort lebenden Menschen wurden für obsolet erklärt, deren Repräsentanten – die Schamanen – verfolgt und teilweise getötet, stellten sie doch die ideologische Legitimation der neuen Machthaber in Frage. Bis dahin hatte der Schamanismus unzähligen Generationen Orientierung im Umgang mit der Natur gegeben und ihnen so zum Überleben unter schwierigsten äußeren Bedingungen verholfen. Was machte ihn so erfolgreich? Und was bewirkte, dass er in den Gemeinschaften so stark verankert war, dass die Sowjets ihn nicht durch Überzeugungsarbeit, wie anfänglich beabsichtigt, sondern nur mit Gewalt bekämpfen konnten? ...
Magier, Mittler, Manager - Schamanismus heute: Magier, Mittler, Manager: Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion erlebt der Schamanismus im südlichen Sibirien eine Renaissance. Woran aber können die heutigen Schamanen überhaupt noch anknüpfen? Und wer sind die Adressaten ihrer Künste? Wer sich für Kehlkopfgesang oder für Schamanismus inter-essiert, dem ist die südsibirische Steppenrepublik Tuwa (tuwisch: Tyva) meist ein Begriff: Vor allem für diese Aspekte seiner Kultur ist das an der Nordwestgrenze der Mongolei gelegene kleine Land in den letzten Jahren bekannt geworden. Seit dem Ende der Sowjetunion blühen auch in anderen Teilen der Russischen Föderation wieder Schamanismen auf, besonders gut lässt sich aber in Tuwa beobachten, wie Schamanentum Teil einer nationalen und kulturellen „Wiedergeburt“ wird. Obwohl die Autonome Republik eines der isoliertesten Gebiete innerhalb der Russischen Föderation ist, wurde sie zu einer Drehscheibe für die schillernde Wiederbelebung, Rückerfindung und Neudefinition eines zeitgenössischen Schamanismus. Die Wiederkehr der Schamanen erklärt sich teilweise aus der bewegten Geschichte Tuwas ... - Mehr zum Heft und den Artikeln
Sonderausstellung „Schamanen Sibiriens“ im Stuttgarter Linden-Museum vom 13. Dezember 2008 – 28. Juni 2009: Ein Leben als Vermittler - Historische Schamanen. In der Sonderausstellung „Schamanen Sibiriens“ zeigt das Stuttgarter Linden-Museum Lebenswelten und Weltsichten sibirischer Völker. ... Die Götterwelt war bei den mongolischstämmigen Burjaten, einem größeren Volk im Süden Sibiriens, hierarchisch aufgebaut. In der oberen Welt lebten die höchsten Gott‧heiten, in der Unterwelt die Verstorbenen, in der mittleren, der Welt der Menschen, Geister wie etwa der Herr des Feuers sowie die Krankheitsgeister. Als Mittler zwischen diesen Welten und den Menschen wirkte der Schamane. Zu einem mächtigen Schamanen konnte nur werden, wer im Lauf vieler Jahre neun Stufen der Initiation durchlaufen hatte. Am Schulterteil des Schamanen Damba aus Irkutsk ... sind zwei Rabenflügel und an der Kopfbedeckung Federn eines Geierfalken angebracht; so wurde die Gestalt eines Vogels nachempfunden, der dem Schamanen als Schutzgeist diente und ihn vor bösen Geistern schützte. Der Schamane hatte noch nicht alle Stufen der Initiation durchlaufen, denn dann hätte er eine eiserne Krone getragen, deren oberstes Teil ein aus Metall nachgebildetes Hirschgeweih ziert. Die Ausstellung greift die Faszination „Sibirien“ auf und bietet tiefe Einblicke in die Lebenswirklichkeit sibirischer Völker. Im Mittelpunkt steht die Weltsicht des Schamanismus. Erzählt werden Lebensgeschichten historischer Schamanen, anschaulich illustriert durch ihre reichverzierten Gewänder, Ritualgegenstände wie Trommeln und Spiegel, höchst überraschende Zeichnungen auf Walrosszähnen sowie historische Fotografien. In Kooperation mit dem Russischen Ethnographischen Museum St. Petersburg werden 160 Spitzenobjekte gezeigt, die in Westeuropa noch nie zu sehen waren. Auch die Musik der Schamanen ertönt, und eine multimediale Installation bietet faszinierende musikalische und visuelle Eindrücke. Indem die Ausstellung heutige Schamanen und zeitgenössische sibirische Künstler präsentiert, schlägt sie eine Brücke zur Gegenwart. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Dietrich Reimer Verlag, Berlin. - Lindenmuseum
Heft 11/2008 "Damals", 6,10 EUR
Schon Kaufleute der Hanse trieben wohl Handel mit Sibirien, vor allem hatten sie es auf dessen Pelzreichtum und speziell die Zobelfelle abgesehen. Erobernd drangen Europäer aber erst seit dem Ende des 16. Jahrhunderts nach Osten vor: Kosaken, Kaufleute und Abenteurer begannen Sibirien zu erschließen. Ihnen folgten Forschungsreisende, darunter zahlreiche Deutsche. Im Auftrag der Zaren erkundeten und kartographierten sie das weithin unbekannte Land. Und zeichneten die Bräuche und Lebensgewohnheiten der indigenen Bevölkerungsgruppen auf. Dabei lernten sie das Phänomen des Schamanismus kennen, der den Menschen Orientierung im Umgang mit der Natur gab. Missionierungsbemühungen im Zarenreich und der Unterdrückung indigener Glaubenswelten in der Sowjetunion zum Trotz kehrten der alte Glaube und viele Traditionen zur Zeit der Perestroika zurück. Heute gibt es in Sibirien wieder Schamanen.
Der Osten ist weit - Die Eroberung und Erforschung Sibiriens: Der Kosaken-Ataman Jermak drang 1582 über den Ural nach Westsibirien vor. Sibirien gilt heute als integraler Bestandteil Russlands. Das war keineswegs immer so: Die Eroberung Sibiriens und seine wissenschaftliche Durchdringung erfolgten erst seit 200, 300 Jahren – im Zuge eines Kolonialismus, der das Reich des Zaren bis an die Küste des Pazifik ausweitete. Das Interesse an der wissenschaftlichen Erforschung Sibiriens begann in Russland erst an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert. Bis dahin hatte kaum ein Westeuropäer die Gebiete jenseits des Urals je betreten, auch wenn seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Teile Sibiriens auf den Karten Gerhard Mercators und Abraham Ortelius’ verzeichnet waren und auch Reisebeschreibungen vorlagen, die aber meist nur auf Hörensagen beruhten. Nowgoroder Kaufleuten war Sibirien spätestens seit der Mitte des 11. Jahrhunderts bekannt, denn von dort erhielten sie die schönen Zobelfelle, die sich so gut verkaufen ließen. Es dauerte aber bis 1582, bis das Moskauer Reich stark genug war, an eine Eroberung dieser Gebiete zu denken. Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts begann das mächtige Mongolenreich zerfallen. Die Moskauer Großfürsten eroberten immer neue Teilreiche. Als Iwan IV., der den Beinamen „der Schreckliche“ erhalten hat und als erster Großfürst zum Zaren gekrönt wurde, Mitte des 16. Jahrhunderts nach Kasan und Astrachan vorstieß, war die Wolga zum russischen Strom geworden ...
Von Sibirien nach Göttingen - Georg Thomas von Asch in St. Petersburg: Die Göttinger Universität verdankt ihre herausragende Position innerhalb der deutschen Russlandforschung Ende des 18. Jahrhunderts insbesondere Georg Thomas von Asch: Neben Buch- und Münzsammlungen bereicherte der St. Petersburger Mediziner sie auch mit wertvollen Kulturdokumenten der Völker Sibiriens und Alaskas. "Übrigens ist es anerkennens werth, dass dieser Mann nur für die Academie in Göttingen lebt und dass seine nächsten Verwandten sich über seine Sparsamkeit bey seinem sonst großen Vermögen beschweren“, urteilte der mecklenburgische Kammerherr Gustav Friedrich von Oertzen in einem Brief an Christian Gottlob Heine, den Direktor der Göttinger Universitätsbibliothek und des Academischen Museums, nachdem er 1801 den 72-jährigen russischen Staatsrat Baron Georg Thomas von Asch besucht hatte. Wer war jener edle Stifter, der die Göttinger Universität mit einzigartigen Kulturdokumenten der Völker des Russischen Reiches im 18. Jahrhundert beschenkte? ...
Russland in Sibirien - Chronologie: Ein Überblick über die Geschichte Sibiriens: vom 16. Jahrhundert bis heute ...
Auf der „Hoffnung“ um die Welt - Die Forschungsreisen des Freiherrn von Langsdorff: Mit dem Entschluss, an einer russischen Forschungsreise teilzunehmen, gab Georg Heinrich von Langsdorff seiner Karriere die entscheidende Wendung. Immer wieder lenkte er in der Folge die Aufmerksamkeit auf die Probleme der indigenen Bevölkerung in einer der „entferntesten Ecken der Welt“. Im 18. Jahrhundert hatte der russische Staat zahlreiche Forschungsreisen und Expeditionen in den asiatischen Teilen des Reiches oder den Grenzgebieten zwischen Europa und Asien durchgeführt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts konnte man daher auf ausgezeichnete Erfolge in der Erforschung von Natur, Geographie und der Kultur der indigenen Bevölkerung zurückblicken. Zudem waren viele Seereisen vor allem im Pazifik unternommen worden. Politisch galt es, trotz der napoleonischen Kriege und innenpolitischer Turbulenzen, nicht nur den Status unter den europäischen Mächten zu halten, sondern, den Beispielen der erfolgreichen Weltumsegelungen der Engländer und Franzosen folgend, als emporstrebende Seemacht gleichzuziehen und dabei zugleich neue Forschungsergebnisse vorzulegen. Mit derartigen Weltumsegelungen setzten die russische Regierung, die Admiralität und die St. Petersburger Akademie der Wissenschaften die Praxis des 18. Jahrhunderts fort. Zu den damaligen Expeditionen und Forschungsreisen waren ausländische Gelehrte aus ganz Europa angeworben worden. Die erste Weltumsegelung unter russischer Flagge fand zwischen 1803 und 1806 unter der Leitung des Deutschbalten Adam Johann von Krusenstern statt. An dieser Expedition nahm ein weiterer deutscher Gelehrter teil, der Arzt und Naturforscher Georg Heinrich Freiherr von Langsdorff (1774–1852), den die Russen Grigori Iwanowitsch Langsdorf nennen ...
Die Natur als belebt betrachten - Weltbild der Schamanen Sibiriens: Ein Schamane trägt eine hohe Verantwortung. Als Verkörperung seiner Gruppe reist er in andere Welten und setzt sich dort für deren Schicksal ein. Unterstützt von Hilfsgeistern, versucht er die Signale der Natur zu deuten, um die richtigen Entscheidungen für den Einzelnen wie für die Gruppe zu treffen. Dahinter steht eine besondere Vorstellung vom Leben des Menschen in der Natur. Kulturen haben wohl schon immer Antworten auf jene Fragen gesucht, die letztlich unser Sein bestimmen. Diesen Fragen ist kaum auszuweichen, auch wenn heutzutage viele Menschen meinen, mit Hilfe des naturwissenschaftlichen und technischen Fortschritts die Natur erklären zu können. Verleiht in traditionalen Gesellschaften das „Wissen um die letzten Dinge“ denen, die darüber verfügen, Ansehen und Autorität, so dominiert in modernen Gesellschaften der Glaube an die Beherrschbarkeit der Natur durch technologisches Know-how. So wurde in der Sowjetzeit propagiert, dass die Natur durch den Einsatz von Technik selbst unter den extremen Bedingungen Sibiriens zu bezwingen sei. Die Welt‧bilder der dort lebenden Menschen wurden für obsolet erklärt, deren Repräsentanten – die Schamanen – verfolgt und teilweise getötet, stellten sie doch die ideologische Legitimation der neuen Machthaber in Frage. Bis dahin hatte der Schamanismus unzähligen Generationen Orientierung im Umgang mit der Natur gegeben und ihnen so zum Überleben unter schwierigsten äußeren Bedingungen verholfen. Was machte ihn so erfolgreich? Und was bewirkte, dass er in den Gemeinschaften so stark verankert war, dass die Sowjets ihn nicht durch Überzeugungsarbeit, wie anfänglich beabsichtigt, sondern nur mit Gewalt bekämpfen konnten? ...
Magier, Mittler, Manager - Schamanismus heute: Magier, Mittler, Manager: Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion erlebt der Schamanismus im südlichen Sibirien eine Renaissance. Woran aber können die heutigen Schamanen überhaupt noch anknüpfen? Und wer sind die Adressaten ihrer Künste? Wer sich für Kehlkopfgesang oder für Schamanismus inter-essiert, dem ist die südsibirische Steppenrepublik Tuwa (tuwisch: Tyva) meist ein Begriff: Vor allem für diese Aspekte seiner Kultur ist das an der Nordwestgrenze der Mongolei gelegene kleine Land in den letzten Jahren bekannt geworden. Seit dem Ende der Sowjetunion blühen auch in anderen Teilen der Russischen Föderation wieder Schamanismen auf, besonders gut lässt sich aber in Tuwa beobachten, wie Schamanentum Teil einer nationalen und kulturellen „Wiedergeburt“ wird. Obwohl die Autonome Republik eines der isoliertesten Gebiete innerhalb der Russischen Föderation ist, wurde sie zu einer Drehscheibe für die schillernde Wiederbelebung, Rückerfindung und Neudefinition eines zeitgenössischen Schamanismus. Die Wiederkehr der Schamanen erklärt sich teilweise aus der bewegten Geschichte Tuwas ... - Mehr zum Heft und den Artikeln
Sonderausstellung „Schamanen Sibiriens“ im Stuttgarter Linden-Museum vom 13. Dezember 2008 – 28. Juni 2009: Ein Leben als Vermittler - Historische Schamanen. In der Sonderausstellung „Schamanen Sibiriens“ zeigt das Stuttgarter Linden-Museum Lebenswelten und Weltsichten sibirischer Völker. ... Die Götterwelt war bei den mongolischstämmigen Burjaten, einem größeren Volk im Süden Sibiriens, hierarchisch aufgebaut. In der oberen Welt lebten die höchsten Gott‧heiten, in der Unterwelt die Verstorbenen, in der mittleren, der Welt der Menschen, Geister wie etwa der Herr des Feuers sowie die Krankheitsgeister. Als Mittler zwischen diesen Welten und den Menschen wirkte der Schamane. Zu einem mächtigen Schamanen konnte nur werden, wer im Lauf vieler Jahre neun Stufen der Initiation durchlaufen hatte. Am Schulterteil des Schamanen Damba aus Irkutsk ... sind zwei Rabenflügel und an der Kopfbedeckung Federn eines Geierfalken angebracht; so wurde die Gestalt eines Vogels nachempfunden, der dem Schamanen als Schutzgeist diente und ihn vor bösen Geistern schützte. Der Schamane hatte noch nicht alle Stufen der Initiation durchlaufen, denn dann hätte er eine eiserne Krone getragen, deren oberstes Teil ein aus Metall nachgebildetes Hirschgeweih ziert. Die Ausstellung greift die Faszination „Sibirien“ auf und bietet tiefe Einblicke in die Lebenswirklichkeit sibirischer Völker. Im Mittelpunkt steht die Weltsicht des Schamanismus. Erzählt werden Lebensgeschichten historischer Schamanen, anschaulich illustriert durch ihre reichverzierten Gewänder, Ritualgegenstände wie Trommeln und Spiegel, höchst überraschende Zeichnungen auf Walrosszähnen sowie historische Fotografien. In Kooperation mit dem Russischen Ethnographischen Museum St. Petersburg werden 160 Spitzenobjekte gezeigt, die in Westeuropa noch nie zu sehen waren. Auch die Musik der Schamanen ertönt, und eine multimediale Installation bietet faszinierende musikalische und visuelle Eindrücke. Indem die Ausstellung heutige Schamanen und zeitgenössische sibirische Künstler präsentiert, schlägt sie eine Brücke zur Gegenwart. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Dietrich Reimer Verlag, Berlin. - Lindenmuseum
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