Mittwoch, 7. Mai 2008

Märchen von Volkmann-Leander: Träumereien an französischen Kaminen

Richard von Volkmann-Leander
Träumereien an französischen Kaminen

Mit Zeichnungen von Hans Richard von Volkmann, 172 S., ISBN 978-3-86672-055-8, 13,95 €
Richard Volkmann war von Haus aus als Mediziner eher wissenschaftlich orientiert. Er war ein bedeutender Chirurg und gilt als Begründer der modernen Orthopädie. Darüber hinaus entwickelte er medizinische Geräte, die noch heute, mehr als ein Jahrhundert später, in den Operationssälen eingesetzt werden. Seine Forschungen auf dem Sektor der antiseptischen Wundbehandlung haben mit Sicherheit vielen Menschen das Leben gerettet. In der Geschichte der Medizin ist der Richard Volkmann eine unangefochtene Größe. Sein Märchenbuch »Träumereien an französischen Kaminen« erschien 1871 unter dem Pseudonym ›Richard Leander‹ – ein Buch, dessen Erfolgsgeschichte seinesgleichen sucht. Eine Auflage jagte die nächste, und daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Zwar reichen sein Ruhm und seine Bekanntheit (als Märchenerzähler) nicht ganz heran an die der Brüder Grimm. Aber sein Märchenbuch hat einen ganz eigenen Zauber, dessen Glanz auch nach fast anderthalb Jahrhunderten nicht verblaßt ist.
Leseprobe "Von Himmel und Hölle": Es war um die Zeit, wo die Erde am allerschönsten ist und es dem Menschen am schwersten fällt zu sterben, denn der Flieder blühte schon, und die Rosen hatte dicke Knospen: da zogen zwei Wandrer die Himmelsstraße entlang, ein Armer und ein Reicher. Die hatten auf Erden dicht beieinander in derselben Straße gewohnt, der Reiche in einem großen, prächtigen Hause und der Arme in einer kleinen Hütte. Weil aber der Tod keinen Unterschied macht, so war es geschehen, daß sie beide zu derselben Stunde starben.
Da waren sie nun auf der Himmelsstraße auch wieder zusammengekommen und gingen schweigend nebeneinander her.
Doch der Weg wurde steiler und steiler, und dem Reichen begann es bald blutsauer zu werden, denn er war dick und kurzatmig und in seinem Leben noch nie so weit gegangen. Da trug es sich zu, daß der Arme bald einen guten Vorsprung gewann und zuerst an der Himmelspforte ankam. Weil er sich aber nicht getraute anzuklopfen, setzte er sich still vor der Pforte nieder und dachte: »Du willst auf den reichen Mann warten; vielleicht klopft der an.«
Nach langer Zeit langte der Reiche auch an, und als er die Pforte verschlossen fand und nicht gleich jemand aufmachte, fing er laut an zu rütteln und mit der Faust dran zu schlagen. Da stürzte Petrus eilends herbei, öffnete die Pforte, sah sich die beiden an und sagte zu dem Reichen: »Das bist du gewiß gewesen, der es nicht erwarten konnte. Ich dächte, du brauchtest dich nicht so breit zu machen. Viel Gescheites haben wir hier oben von dir nicht gehört, solange du auf der Erde gelebt hast!«
Da fiel dem Reichen gewaltig der Mut; doch Petrus kümmerte sich nicht weiter um ihn, sondern reichte dem Armen die Hand, damit er leichter aufstehen könnte, und sagte: »Tretet nur alle beide ein in den Vorsaal; das Weitere wird sich schon finden!« ... Hier weiterlesen

Keine Kommentare: