Dienstag, 19. Mai 2009

Junge Türkin in den 70er Jahren in Ost/West-Berlin

Emine Sevgi Özdamar
Seltsame Sterne starren zur Erde
KiWi TB, Kleist-Preis 2004, 256 S., ISBN: 978-3-462-03428-8, Euro (D) 8.95, sFr 16.50, Euro (A) 9.30
Berlin, Mitte der 70er Jahre. Eine geteilte, eingeklemmte Stadt, und doch voller heftiger und stiller Aufbrüche in Ost und West. Genau dorthin zieht es 1976 eine junge türkische Schauspielerin aus Istanbul, noch niedergedrückt von Erinnerungen an die Militärdiktatur im eigenen Land, aber mit einem großen Traum: Das Theater Bertolt Brechts an der Ostberliner Volksbühne kennen zu lernen.
Mit staunenden Augen und umwerfendem Witz erzählt Emine Sevgi Özdamar von einem Berlin, das kein Deutscher so je gesehen hat: Das Leben ihrer WG-Mitbewohner im Westberliner Wedding und ihrer Ostberliner Freunde in Pankow, die türkischen Einwanderer in der Nachbarschaft, die politischen Ereignisse des »deutschen Herbstes« und – vor allem – ihre heftige Liebe zum Theater Heiner Müllers und Benno Bessons. Als Regieassistentin an der Volksbühne hält sie die Proben zu Müllers Die Bauern und Goethes Bürgergeneral in faszinierenden Skizzen fest, die diesem ganz besonderen Buch einen zusätzlichen Reiz und dokumentarischen Wert geben.
Mit zwölf Jahren spielt sie ihre erste Theaterrolle am Staatstheater Bursa im »Bürger als Edelmann« von Molière. 1965-67 Aufenthalt in Berlin, Arbeit in einer Fabrik. Theaterrollen: Weihnachtstod, Buch, Regie Franz Xaver Kroetz, Kammerspiele München; Im Dickicht der Städte von Bert Brecht, Freie Volksbühne Berlin; Faust, Regie E. Schleef, Frankfurter Schauspielhaus; Die Trojaner von Berlioz, Regie Berghaus, Frankfurter Oper; Drei Schwestern von Anton Tschechow, Théatre de la Ville, Paris, Regie Matthias Langhoff, Die Troerinnen von Euripides, Théatre Amandière, Paris, Regie Matthias Langhoff.
Buchbesprechung von Siglinde Geisel (Auszug): " ... Die Perspektive der jungen Frau von damals musste Özdamar bei diesem Buch nicht aus der Erinnerung holen. Sie konnte Tagebuchpassagen wörtlich zitieren, denn in der Langsamkeit der DDR hatte sie damals begonnen, Tagebuch zu schreiben. Zunächst pendelte sie jeden Tag von West nach Ost. «Mich hat die Mauer nie interessiert, und ich habe damals auch nie an die Stasi gedacht.» Über die Mauer hätte jeder schreiben können, und es wäre immer Ähnliches dabei herausgekommen. Doch Emine Sevgi Özdamar schreibt mit der Stimme ihres früheren Ichs über das, was niemand anders erlebte und sah. Wer sonst hätte von den Türken berichtet, die in Ostberlin als Westler galten und sich dort eine Freundin suchten, bei der sie assen und wohnten, und die doch jeden Tag einmal rüber mussten, weil sie auch kein Dauervisum hatten. Wenn die Erzählerin wieder in den Westen geht, staunt sie jedes Mal, dass es jenseits der Mauer auch geregnet hat ... " Zur Buchbesprechung

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